Mathematik in der NS-Zeit: Mathematik in Italien
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Einleitung![]()
Das heutige Italien existiert vereinigt noch nicht sehr lange.
Dieser Einigungsprozess in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde begleitet von einer Reihe von Kriegen.
Der Erste (1859) betraf Italien zunächst nicht sondern wurde zwischen Österreich und Frankreich geführt.
Das Königreich Piemont-Savoyen war mit Frankreich verbündet und erhielt daher nach dessen Sieg die Lombardei von den Habsburgern.
Der preussisch - österreichische Krieg 1866 zwingt Habsburg schliesslich zur Abtretung Venetiens an das neue Königreich Italien.
Allerdings standen Rom und Mittelitalien noch bis 1870 unter der Herrschaft des Papstes.
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Der 1. WeltkriegVor Beginn des ersten Weltkrieges war Italien zunächst mit Deutschland und Österreich-Ungarn verbündet. Es erklärt sich jedoch nach Kriegsbeginn für neutral und tritt nach heftigen innenpolitischen Ausseinandersetzungen 1915 sogar gegen die Mittelmächte in den Krieg ein. Ausschlaggebend für diese Entscheidung war eine Offerte Großbritaniens. In den sogenannten "Londonder Geheimverträgen" wurden Italien große territoriale Versprechungen auf Kosten der Mittelmächte gemacht. Doch nicht die ganze Bevölkerung stand hinter dem Kriegseintritt. So musste Italien während des gesamten Krieges mit internen Unruhen kämpfen. Militärisch war Italien nicht sehr erfolgreich und verdankte seinen Status als Sieger seinen Verbündeten England und Frankreich. Der Krieg hatte Italien in hohe Staatsschulden gestürzt und viele Soldaten suchten nach Friedensschluss vergeblich nach Arbeit. Als enttäuschend für die Bevölkerung kam noch hinzu, dass die von den alliierten gegebenen Gebietsversprechen nicht eingehalten wurden: Italien vergrösserte sich lediglich um Südtirol. Man sprach daher in Italien vom "verstümmelten Sieg". Aus den Unruhen der Nachkriegszeit gingen schliesslich die Faschisten unter Benito Mussolini als Sieger hervor. |
Benito MussoliniNun will ich Mussolini etwas näher unter die Lupe nehmen. Geboren wurde er 1883 in Predappio (Norditalien) als Sohn eines Arbeiters und einer Volksschullehrerin. Mit 18 Jahren verweigerte er den Militärdienst und floh in die Schweiz. Er durfte erst vier Jahre später (1905) wieder zurückkehren. Die nächsten Jahre schrieb er als überzeugter Sozialist für verschiedene linke Zeitungen und wurde 1912 sogar zum Chefredakteur des "Avanti", des Parteiorgans der Sozialisten. Bei Kriegsbeginn im Sommer 1914 vertrat er noch eine pazifistische Position, die er jedoch rasch änderte und zum Kriegsbefürworter wurde. Nach dem darauf folgenden Zerwürfnis mit den Sozialisten gründete er im November 1914 die rechte Tageszeitung "Das Italienische Volk". Diese entwickelte sich zum Sprachrohr der italienischen Rechten. 1921 gründet er in Rom seine eigene Partei, die "Partito Nazionale Fascista". Nachdem er mit dieser die Wahlen 1922 nicht gewinnen konnte marschierten seine Anhänger mit Duldung des Militärs nach Rom und besetzten es. Dort setzten sie die Ernennung Mussolinis zum Ministerpräsidenten durch. Im den folgenden Jahren baute er seine Macht zu einer Diktatur aus und nannte sich selbst "Duce" (=Führer) |
Die FaschistenMussolinis politische Machtbasis waren dabei vor allem seine zahlreichen Anhänger, die sich selbst Faschisten (ital.: fascio, lat.: fascis; Bund, Rutenbündel) nannten. Seine militärische Basis für die Durchsetzung seiner innenpolitischen Ziele bildeten die "Schwarzhemden"; ein bewaffneter interner Wehrverband innerhalb seiner Faschistischen Partei. So konnte nach und nach seine Gegner ausschalten was 1925 schlussendlich zum Verbot der Sozialisten und anderer antifaschistischer Organisationen und Parteien führte. Lediglich eine Institutuion blieb von der faschistischen Bewegung unberührt: König Victor Emanuel III. durfte seinen Thron behalten. |
Manifeste IntellektuellerDie Faschisten versuchten ihre Macht auch "philosophisch" zu festigen. So veröffentlichte der "politische Pilosoph", Faschist und Bildungsminister Giavanni Gentile 1925 sein "Manifest der Intellektuellen Faschisten". In diesem versuchte er unter Anderem die kriegerische Unterwerfung anderer Völker zu legitimieren. Doch Italien wäre nicht Italien wenn es dazu nicht auch eine Gegenbewegung gegeben hätte: Der Philosoph Benedetto Croce verfasste als Antwort auf Gentile ein Gegenmanifest. Dieses wurden von zahlreichen Wissenschaftlern mitunterschrieben - unter Anderen von den Mathematikern Volterra, Severi, Levi-Civita und Castelnuovo. |
Der SchwurNach mehreren Jahren der intellektuellen Auseinandersetzung überzeugt Gentile 1931 Mussolini, von den Universitätsprofessoren einen Schwur auf König und faschistisches Regime zu Verlangen - denn gerade in dieser Gruppe hatten die Faschisten noch viele Gegner. Von den ca. 1200 Professoren verweigerten etwa 20 diesen Schwur. Zu den Verweigerern zählte z.B. Vorterra. Andere, wie Levi-Civita, nutzten ihren Verbindungen um den Schwur nicht leisten zu müssen. |
Das RassengesetzNach Mussolinis Besuch in Hitler-Deutschland 1938 griff die Nationalsozialistische Rassenideologie endgültig auch auf Italien über. Demnach existierte eine pure "Italische Rasse", die zur Familie der "Arier" gehören sollte. Und man setzte sich zum Ziel, die Reinheit dieser "Rasse" zu verteidigen. So erlies man auch in Italien Rassengesetze infolge derer alle Juden - auch die Mathematiker - aus ihren Stellungen entfernt wurden; darunter waren auch fünf der sechs wichtigsten italienischen Mathematiker. Viele Juden flüchteten ins nichtfaschistische Ausland. |
Die USA-ExilantenDie meisten Italiener (sowohl Juden als auch politisch Verfolgte) wählten die USA als Exil. Von dort aus kämften die Exilanten (z.B. mit der Mazzini Society) gegen den Faschismus. Andere italienische Flüchtlinge wie der Physiker Enrico Fermi halfen den Amerikanern bei ihren Forschungen. Weit gebracht hat es dabei der Physiker Eugenio Fubini, der sogar "Assisant Secretary of Defence" und "Deputy Director of Defence Research" wurde. |
Die BlütezeitGegen Ende des 19. Jahrhundert gelangte die Mathematik in Italien an ihren Höhepunkt. In vielen mathematischen Forschungsgebieten war Italien zusammen mit Deutschland, Frankreich, England, Russland und Schweden weltweit führend. Die wichtigsten Mathematiker Italiens in dieser Zeit waren: Salvatore Pincherle (1853 - 1936), beschäftigte sich vor allem mit funktionaler und complexer Analysis Giuseppe Peano (1858 - 1932), auch er beschäftigte sich vorwiegend mit Analysis Vito Volterra (1860 - 1940), Hauptgebiete: Analysis, math. Physik, Biomathematik Corrado Segre (1863 - 1924), Hauptgebiet war algebraische Geometrie Sie alle haben wichtige mathematische Forschungseinrichtungen an den Universitäten von Rom, Bologna, Padua, Pisa und Turin gegründet. Ich werde allerdings nur auf Vito Volterra näher eingehen, da die anderen zur Zeit des Faschismus entweder schon nicht mehr gelebt, oder nicht mehr als Dozenten tätig waren. Ein wichtiges Ereignis fand 1884 statt, als der "Circolo Matematico di Palermo" (CMP), der "Mathematische Kreis von Palermo" gegründet wurde. Die so genannten "Rendiconti" (übersetzt soviel wie "Abrechnungen"), also regelmässig erscheinende Broschüren, in denen die geleistete Arbeit, neue Erkenntnisse, Ausblicke usw. publiziert wurden, waren als eines der weltweit führenden mathematische Journale angesehen. Internationale Grössen wie Hilbert, Poincaré, Weyl, Birkhoff, Picard u.a. waren Mitglieder des CMP und publizierten auch in den Rendiconti. Als 1908 der "International Congress of Mathematicians" (ICM) in Rom stattfand (unter Vorsitz von Vito Volterra), bedeutete dies für Italien die internationale Anerkennung als eine der führenden Weltmächte in der Mathematik. Es war das erste Mal überhaupt, dass dieser Kongress in Italien stattfand. Der ICM sollte noch ein zweites Mal in Italien stattfinden, nämlich 1928 unter dem Vorsitz von Pincherle. Das Novum an diesem ICM war, dass 10 Jahre nach Kriegsende zum ersten Mal wieder eine deutsche Delegation eingeladen wurde. Angeführt wurde die deutsche Delegation von David Hilbert, für den es standing ovations gab, als er Saal betrat. Auf institutioneller Seite fanden um 1920 zwei weitere wichtige Entwicklungen in der Organisation der wissenschaftlichen Gemeinde in Italien statt. Und zwar einmal durch die Gründung der "Unione Matematica Italiana" (UMI), die "italienische mathematische Union" durch Pincherle, und durch die Gründung des "Consiglio nazionale delle ricerche" (CNR), des "Nationalrates der Forschung" durch Volterra. Die UMI sollte vor allem die Interessen der Mathematik vertreten und die mathematischen Abteilungen der einzelnen Universitäten miteinander abstimmen. Obwohl von Juden gegründet, wurden ironischerweise beide Organisationen später Werkzeuge des Faschismus und damit gegen Juden eingesetzt. |
Vito Volterra![]()
Geboren: 1860 in Ancona
Volterra war jüdischer Abstammung. Er hatte eine schwere Kindheit, da seine Familie sehr arm war und ihm Unterstützung von reicheren Verwandten versagt blieb. Trotzdem schafft er es eine akademische Laufbahn einzuschlagen, macht in Pisa seinen Doktor in Physik und wird dann Professor für Mechanik. Anschließend wechselt er nach Turin, wo er den Lehrstuhl für Mechanik übernimmt, aber auch dort hält es ihn nicht lange, er wechselt nach Rom wo er 1900 den Lehrstuhl für mathematische Physik übernimmt. Sein Hauptaugenmerk gilt Differentialgleichungen und partiellen Differentialgleichungen. Sein wohl berühmtestes Werk schreibt er aber über Integralgleichungen, ein spezieller Typ von Integralgleichung wurde nach ihm benannt, der Volterra-Typ. Im ersten Weltkrieg arbeitet er bei der Air-Force, um dann wieder nach Rom zurückzukehren und sich der Biomathematik zu widmen. Sein Hauptinteresse gilt jetzt aber nicht mehr der Mathematik, sondern der Politik, er wird Senator und kämpft im Parlament gegen den Faschismus an. 1931 verweigert er den Schwur auf das faschistische Regime und muss deshalb die Universität von Rom verlassen, sowie jegliche Lehrtätigkeiten in Italien einstellen. Zu dieser Zeit geht es ihm wirtschaftlich recht gut, er hat genug Geld, zieht nach Frankreich und Spanien um Vorlesungen zu halten, kriegt dann aber gesundheitliche Probleme und kehrt nach Rom zurück. Sein Zustand verschlimmert sich kontinuierlich, bis er 1940 in Rom an einem Herzinfarkt stirbt. |
Die KriseManchmal wird der ICM 1928 in Bologna als der Anfang vom Ende der Mathematik in Italien beschrieben. Spürbar wird der Niedergang ab 1930 unter dem Faschistischen Regime. Ein Hauptgrund dafür sind sicherlich die vielen Entlassungen jüdischstämmiger Mathematiker, die anfangs zwar personell, aber nie und nimmer qualitativ ersetzt werden können. Offensichtlich wird dies wenn ich die wichtigsten Mathematiker dieser Zeit vorstellen werde, die mit Ausnahme von Francesco Severi alle jüdisch waren. Außerdem wurden neue Forschungsgebiete vernachlässigt, bzw auch total ignoriert. Manche Gebiete wie Analysis und mathematische Physik blieben zwar auf dezentem Niveau, aber weit vom altem Ruhm entfernt. Moderne Methoden und Sprachen wurden entweder gleich abgelehnt oder man beschäftigte sich nicht ernsthaft damit. Dies entspricht ganz der Philosophie des Faschismus, die alles Moderne schief beäugt und altbewährtes, traditionelles hochleben lässt. Karrieremöglichkeiten gab es nur über traditionelle Gebiete wie Analysis, Geometrie und Mechanik. Junge Mathematiker mussten gezwungenermaßen in diesen Gebieten forschen, sonst wurden sie nicht beachtet. Obwohl Pincherle und Volterra z.b. Mitgründer der funktionalen Analysis und Peano ein Pionier im Gebiet der Logik war, wurde in diesen Gebieten nicht mehr geforscht. Das hatte zur Folge, dass Italiens Mathematik international schnell nicht mehr mithalten konnte, z.B. mit der rasanten Entwicklung der Algebra in Deutschland oder den USA. Auch hatten die synthetischen Methoden der italienischen Schule ihre natürlichen Grenzen erreicht und waren nicht mehr in der Lage, mit den dringenden Problemen zu dieser Zeit fertig zu werden. Als Beispiel mag Italiens algebraische Geometrie dienen, die auf vollständig auf komplexe Zahlen aufbaute. In den späten 20ern aber begannen verschiedene Mathematiker, darunter auch Weyl, der algebraischen Geometrie ein neues, allgemeineres Fundament zu verschaffen, das der kommutativen Algebra. Dadurch konnte der Stillstand der Weiterentwicklung, der auf diesem Gebiet geherrscht hatte, durchbrochen und neue Erkenntnisse gewonnen werden. Viele der italienischen Resultate konnten auf diesem allgemeineren Fundament nun nicht mehr verwendet werden. Hinzu kam noch, dass Italien zu dieser Zeit politisch, ökonomisch und kulturell immer mehr isoliert wurde, eine Folge der faschistischen Kolonialpolitik in Afrika. Internationale Kongresse und Konferenzen waren jetzt nur mehr schwer, wenn nicht gar unmöglich, deshalb fehlte es an Innovationen in allen Gebieten. Der Todesstoß wurde der Mathematik 1938 mit den Rassengesetzen versetzt, als die letzten verbleibenden hochkarätigen Mathematiker entlassen wurden. |
Wichtige MathematikerAb 1930 war die Mathematik in Italien in der Hand zweier Männer: Francesco Severi und Mauro Picone. Die beiden repräsentieren die zwei gegensätzlichen Seelen der Mathematik: Severi die der reinen, Picone die der angewandten Mathematik. Während für Severi, auf den ich später noch näher eingehen werde, die Theorie sehr wichtig ist, auch wenn diese keine Anwendung finden sollte, war für Picone der Nutzen der Mathematik das wichtigste. Durch und durch Faschist, will Picone die Mathematik in den Dienst des Militärs, des Regimes und der Gesellschaft stellen. Sein Ziel ist es, bessere Waffen für Mussolini bauen zu können. Sein Hauptaugenmerk gilt dabei der Entwicklung effizienter Methoden zur Lösung von Differentialgleichungen, wahrscheinlich deshalb, weil er im ersten Weltkrieg als Artillerieoffizier gedient hatte. 1927 gründet er das "Istituto nazionale per le applicazioni del calcolo" (INAC), das "nationale Institut für rechnerische Anwendungen", welches weltweit das erste Zentrum für numerische Analysis war. Picone baut das Institut mit Mussolinis Hilfe auf, es sollte später ein Sprungbrett für viele Mathematiker-Karrieren werden. Picone war vor allem wegen dieser institutionellen Rolle wichtig. |
Francesco Severi![]()
Geboren: 1879 in Arezzo
Severi hatte eine sehr schwere Kindheit, sein Vater starb früh, trotzdem schaffte auch er es eine akademische Laufbahn einzuschlagen. Bis zum 1. Weltkrieg wechselt er sehr oft Universität und damit auch Stadt, er kommt über Turin, Pisa, Bologna, und Parma nach Padua. Dann dient er im 1. Weltkrieg. Ab 1922 arbeitet er in Rom, wo er seine wahrscheinlich wichtigsten Werke über algebraische Geometrie schreibt. Er war international äußerst angesehen, wurde immer wieder eingeladen Vorlesungen zu halten und hatte auch sehr viele Ehrenmitgliedschaften an diversen internationalen Universitäten. Anfänglich war Severi Antifaschist, er unterschreibt 1922 den "Manifesto Croce", dann aber wandelt sich seine Gesinnung und er wird Faschist. Allerdings - so glaube ich - war er kein überzeugter Faschist, er zog keine der beiden Einstellungen konsequent durch. Vielmehr glaube ich erkennen zu können, dass er den "Weg des geringsten Widerstandes" suchte, immer auf persönliche und auch auf Vorteile für die Mathematik bedacht. Als nach dem 2. Weltkrieg Severis jüdische Kollegen wieder in Italien wirkten, hat man eigentlich so getan, als sei nichts passiert, als sei immer alles bestens gewesen, sowohl von Severis als auch von Seiten der jüdischen Mathematiker. Das verwundert doch ein bisschen. Severi hatte eine gute Beziehung zu Mussolini, dadurch konnte er totale Kontrolle über das mathematische Leben ausüben: Er erlaubte Veröffentlichungen und Übersetzungen und griff nach Gutdünken in Wettbewerbe für universitäre Lehrstellen ein. Bis zum Ende seines Lebens hat sehr viele mathematische Publikationen geschrieben, er hatte aber auch viele andere Interessen, er war Präsident einer Bank, Führender der Ingenieursfakultät in Padua, Experte in Agrikultur uvm. Er stirbt 1961 in Rom. |
Die jüdischen MathematikerMir ist aufgefallen, dass kein aktiver Widerstand der Mathematiker bei der Entlassung ihrer jüdischen Kollegen zu bemerken war. Dazu möchte ich die Antwort des Mathematikers Tricomi auf die Frage, was man denn tun könne, zitieren: [Zitat, Tricomi] "Tacere e vergognarci!" Übersetzt soviel wie "schweigen und uns schämen". Am 10. Dezember 1938 folgte dann der schwärzeste Tag der italienischen Mathematik, die UMI verfasst ein Schreiben, in dem jeglicher Einfluss und Leistung jüdischer Mathematiker für die Mathematik abgestritten wird. Unter anderem heißt es darin, dass die Mathematik von Ariern gegründet und anfänglich aufgebaut wurde, dass sich die jüdischen Mathematiker bloß an den "gedeckten Tisch" gesetzt hätten, ohne große Leistungen bzw Erkenntnisse zu liefern. Aufgrund dessen könnten die Lücken, die durch Entlassung der jüdischen Kollegen entstünden, leicht gefüllt und dabei auch noch eine Qualitätssteigerung erreicht werden. Ich glaube, dass den Verfassern (u.a. Severi) sehr wohl klar war, dass dies absolut nicht zutraf - im Gegenteil. |
Tullio Levi-Civita![]()
Geboren: 1873 in Padua
Levi-Civita war jüdischer Abstammung, im Gegensatz zu vielen Kollegen war er kein "Wandervogel" was Universitäten und damit auch Städte anging. Er war 20 Jahr lang in Padua, wo er den Lehrstuhl für Mechanik innehatte, dann wechselte er nach Rom, wo er wieder 20 Jahre lang den Lehrstuhl für Mechanik übernahm. Im Laufe seines Wirkens schrieb er wichtige Arbeiten in reiner Mathematik und Geometrie, er arbeitete aber auch an der Relativitätstheorie. Seine Arbeiten in diesem Gebiet wurden später von Einstein und Weyl als Grundlagen benutzt. Er hatte international einen sehr guten Ruf, deshalb hatte er sehr viele Ehrenmitgliedschaften, z.b., um ein nur ein paar zu nennen, an der Edinburgh und London Mathematical Society und an der Royal Society of Edinburgh. Wie alle jüdischen Mathematiker wurde er wegen der Rassengesetze 1938 aus dem Dienst entlassen. Er wurde nach Edinburgh eingeladen, um dort zu wirken, wollte ursprünglich auch dahin auswandern, aber zu der Zeit hatte er schon gesundheitliche Probleme und sein Arzt verbot ihm die Reise. Sein Zustand verschlechterte sich rapide, schließlich verstarb er 1941 in Rom. |
Guido Castelnuovo![]()
Geboren: 1865 in Venedig
Auch Castelnuovo war jüdischer Abstammung, er kam über Padua und Turin nach Rom. Sein Hauptforschungsgebiet war Geometrie, aber er hat auch wichtige Forschungen im Gebiet der algebraischen Kurven angestellt. Bis zum Schluss hatte er weit über 100 mathematischer Publikationen veröffentlicht. Er hat sehr viel mit Enriques zusammengearbeitet, die beiden haben auch sehr viele Preise gewonnen. Castelnuovo war dafür bekannt, seine Vorlesungen immer in zwei Teile zu gliedern, nämlich in eine generelle Übersicht der Materie und dann in eine spezielle Vertiefung. 1935 gab er seinen Lehrstuhl auf, Grund dafür waren u.a. Schikanen wegen seiner jüdischen Herkunft. Castelnuovo ist nicht aus Italien geflohen, sondern er hat sich während dem Krieg bei Freunden in Rom versteckt. Wer diese Freunde waren ist mir leider nicht bekannt. Sofort nach dem Krieg hat er sich wieder wissenschaftlich betätigt, er wurde in die Kommission des CNR (Nationalrat der Forschung) gewählt und seine wichtige Aufgabe war es, die wissenschaftlichen Institutionen in Italien wiederzubeleben. Das macht er mit ziemlichem Erfolg und 1949 wird ihm dann die höchste Ehre zuteil, die man in Italien kriegen kann: Er wird zum Ehrensenator des italienischen Parlaments gewählt. Das bedeutet, dass er wie jeder andere normal gewählte Senator Stimmrecht im Parlament besaß. Dies ist die höchste Auszeichnung, die man in Italien um Verdienste für die Nation erhalten kann. Lange konnte er diesen Titel aber leider nicht genießen, weil er 3 Jahre darauf in Rom verstarb. |
Federigo Enriques![]()
Geboren: 1871 in Livorno
Auch Federigo Enriques war jüdischer Abstammung und hat wichtige Beiträge in der Mathematik geleistet, obwohl er sich nicht nur auf diese konzentrierte, sondern sich auch für Philosophie begeisterte. Er arbeitete eng mit Castelnuovo zusammen, wobei sie wichtige Beiträge in Geometrie leisteten. Gleichzeitig war Enriques Präsident der italienischen Philosophiegemeinschaft, im Laufe seiner Tätigkeit als Philosph hat er sich mit Gentile verkracht, was für ihn entscheidende Nachteile und Schikanen bedeutete, als die Faschisten an die Macht kamen. 1907 gewann er den Bordin - Preis für Arbeit an hyperelliptischen Oberflächen, zusammen mit Severi. In der Folgezeit aber kam es zwischen den beiden zu handfesten Streitereien, zuerst fachlich, dann mündeten diese Streitereien aber in persönliche Aversionen. Wiederum kein Vorteil für Enriques, als die Faschisten an die Macht kamen und Severi an deren Seite wechselte. Severi ließ z.b von Enriques geschriebene Schulbücher durch seine eigenen ersetzen und untersagte Enriques den Zugang zu diversen wissenschaftlichen Einrichtungen. Wie auch Castelnuovo versteckte sich Enriques während des Krieges bei Freunden in Rom, nach dem Krieg nahm er die Lehrtätigkeit wieder auf, verstarb aber kurz danach. |
Gino Fano![]()
Geboren: 1878 in Mantua
Fano war jüdischer Abstammung, er machte 1892 seinen Doktor, ging daraufhin aus Forschungsgründen nach Göttingen, zwei Jahre später kehrte er nach Rom zurück, wo er Castelnuovos Assistent wurde. Danach arbeitete er ein paar Jahr in Messina, entging 1908 nur knapp dem Tode, als ein Erdbeben Messina total zerstörte. Bis 1938 war er dann Professor in Turin, musste dann seinen Lehrstuhl abgeben und floh in die Schweiz. Nach dem Krieg kehrte er nach Italien zurück, hielt aber auch viele Vorlesungen in der ganzen Welt. |
Beniamino Segre![]()
Geboren: 1903 in Turin
Segre war jüdischer Abstammung, seine Laufbahn begann in Turin, unter seinen Lehrern Peano, Fano und Fubini. 1923 machte er seinen Doktor mit einer Dissertation über Geometrie. Danach übernahm er eine Stelle in Turin, ging für ein Jahr nach Paris und wurde schließlich Severis Assistent in Rom. Ab 1931 übernahm er den Lehrstuhl für Mathematik in Bologna und hatte schon über 40 Publikationen in verschiedenen mathematischen Gebieten geschrieben. 1938 musste er seine Stelle dann aufgeben und floh nach England. Dort wurde er vorerst als "enemy alien" interniert, bekam dann aber eine Lehrstelle in Manchester. Nach dem Krieg kehrte er nach Italien zurück, 1950 wurde er Severis Nachfolger in Rom. |
Last modified: Tuesday, 08-Jul-2003 16:49:59 CEST |